Dienstag, 23. Juli 2013

Noten-Zeugnisse - eigentlich nicht zeitgemäss!

Am Freitag gab es Zeugnisse. Ein spannender Tag, nicht nur für die Kinder, ein bisschen auch für mich! Was hat das letzte Schuljahr gebracht? Hätte ich mehr Druck machen müssen oder vielleicht weniger. Sind die Noten schlechter als im vergangenen Jahr, der Durchschnitt schlechter, besser, gleich geblieben. Wie sind neue Fächer aufgenommen worden.... Alles Fragen, die sich natürlich permanent stellen, und die ich ja auch während des Schuljahres schon mitbekomme, nicht in den mündlichen Fächern, aber im Großen und Ganzen ja schon.

Natürlich liege ich nicht schon die Nacht vorher wach und kann nicht schlafen, aber gespannt bin ich schon. Möchte ich den Kindern doch auch ermöglichen, dass sie einen guten Start in ein Leben nach der Schule haben. Das ihnen möglichst viel Türen in der Welt offen stehen, dass sie lernen, worum es im Leben geht.

Aber worum geht es denn eigentlich. Geht es darum, möglichst gute Ergebnisse zu erzielen in der Schule, möglichst gute Noten zu haben, zu Lernen "wie der Hase läuft", auch super schlechte, unfähige  und geradezu sadistische Lehrer als Respektsperson zu akzeptieren und sich von ihnen die Welt erklären zu lassen und permanent klein gemacht zu werden? Ohne Rücksichtnahme auf den jeweiligen Charakter, Entwicklungsphasen und und und. Oder geht es nicht vielleicht viel mehr darum, für's Leben zu lernen? Auf das Leben vorbereitet zu werden, sich selbstbewusst und optimistisch sämtlichen Herausforderungen zu stellen?

Diese Diskussion hatte ich mit den Kindern während einer Autofahrt. Denn wir haben in unserer Familie zwei Schulformen, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Auf der einen Seite Max, der das klassische staatliche Gymnasium besucht und auf der anderen Seite Felix, der zur Waldorfschule geht. Dort, wo jeder seinen Namen tanzen kann - ja, ja ich weiß - und dort, wo auch jeder stricken und filzen kann. Aber auch dort, wo es keine Noten gibt (zumindest bis Klasse 9), wo man nicht 10 sondern 12 Jahre zur Schule geht, um auch anderen Fächern Raum zu geben und den Kindern den Druck ein wenig zu nehmen.

Als Max ein bisschen das Lästern anfing (Verwunderungen der jeweiligen anderen Schulform gegenüber bleiben auch bei uns nicht aus), dass es ja total einfach ist in Felix' Schule und dass es ja auch keine Noten gibt und jeder machen kann, was er will (die klassische Klischees eben)..... Haben wir noch mal zusammen überlegt: In der Grundschule hatte Max eine tolle Klassenlehrerin, die er sehr gerne gemocht hat und die sein übergrosses Interesse an Politik, Geschichte, Erdkunde, Religion und Musik fördern und fordern konnte. Sie war immer ganz begeistert von seinem Wissen und konnte nicht aufhören zu loben, dass es häufig das Wissen eines Erwachsenen wäre. Jetzt auf dem Gymnasium, hat er vergessen, dass er diese Fächer liebt. Er sieht nur noch die Lehrer, die die Fächer unterrichten, die Pubertät, die wahre Begeisterung vor seinen Klassenkameraden nicht zulässt und am Ende die Note auf dem Zeugnis.

Als wir also darüber gesprochen haben, welche Schule es jetzt "richtig" macht, sind wir am Ende übereinstimmend zu folgender Erkenntnis gekommen:

Warum sollte man lernen, wenn es keine Noten gibt? Wenn einem in der Schule niemand im Nacken sitzt, der Druck ausübt (und das damit auch nicht auf die Eltern übertragen wird)? Letztendlich bleibt einem dann nur die Erkenntnis, dass man es für sich ganz alleine macht. Dass man lernt, weil man den Stoff einfach interessant findet. Weil man als Kind sowieso einen angeborenen Wissensdurst hat, der gestillt werden will.

Unser Felix ist in der staatlichen Grundschule hoffnungslos untergegangen, weil er dem Druck nicht standhalten konnte. Ein offenes, fröhliches Kind ist still geworden und konnte nicht mehr lachen. Seitdem er auf der Waldorfschule ist, ist er wie ausgewechselt. Er ist ist selbstbewusst, kann deutlich seine Meinung äussern und ist wieder der gleiche glückliche Junge wie zu Kindergartenzeiten. Okay, er kann in der dritten Klasse noch nicht wettbewerbsreif lesen, aber er kann schon ganz toll Englisch und Französisch sprechen. Er kann Tiere pflegen und Getreide anbauen, er kann Bibelsprüche auf Hebräisch aufsagen, er kann sich hervorragend um jüngere und behinderte Kinder kümmern und ja, auch seinen und unsere Namen tanzen.

Und wenn noch mal jemand sagt, das man das nicht braucht: Als wir jetzt für die Schwester einer Freundin eine originelle Hochzeits-Glückwunsch-Videobotschaft machen sollten, haben wir zu Bruno Mars' Single "Marry You" einen filmreifen Glückwunsch getanzt ;-). Also, bitte schön!

Zählt das alles nicht? Ist das nicht wert, in unserer Gesellschaft anerkannt zu werden? Es ist ja auch nicht so, dass es auf der Waldorfschule keine Zeugnisse gibt. Am Ende jeden Jahres gibt es ein Zeugnis, das detailliert auf jedes Fach eingeht und dazu noch eine allgemeine Seite. Dieses Zeugnis ist ca. 8 Seiten lang und lässt keine Interpretationsmöglichkeiten. Man kann genau feststellen, was das Kind geschafft hat, wo es noch Bedarf hat. Es erzählt aber auch etwas über die Entwicklung. Es wird auch anerkannt, dass es vielleicht noch nicht perfekt ist in dem Fach, dass es aber schon sehr viel gelernt hat und nur noch ein bisschen mehr Übung braucht. Oder dass es in Französisch schon eine sehr schöne Sprachmelodie hat und sehr gerne mitarbeitet, während es in Englisch, doch auch gerne den Nachbarn unterhält, während die anderen Kinder arbeiten. Da wird im Sportunterricht jede einzelne Einheit aufgezählt und kommentiert. Denn wie aussagekräftig ist z.B. die Notengebung auf dem Gymnasium mit der Bemerkung: "Leistung in Sport wäre 1, insgesamt bekommst Du aber von mir nur eine 3"??? Häh? Warum? Das habe ich bis heute nicht rausfinden können, obwohl das schon ein Jahr her ist. Und am Ende dieser 11 bzw. 12 Jahre Schule steht eine Zentralabschlußprüfung wie an jeder anderen Real- oder Hauptschule auch. Mit dem entsprechenden Abschluß kann man dann überall das Abitur machen. Die Waldorfpädagogen sind allerdings der Meinung, dass die Zeugnisse nicht für die Kinder, sondern für die Eltern gedacht sind. Die Kinder bekommen einen Zeugnisspruch, der sie im nächsten Schuljahr begleiten soll und ihnen Kraft und Motivation sein soll. Ein bisschen spooky, aber es wirkt. Und Noten gibt es dann ab Klasse 9 oder 10, wenn die Kinder alt und reif genug dafür sind.

Mal abgesehen davon, dass nicht jeder Mensch auf dieser Welt einen akademischen Beruf ausüben muss, bin ich mir sicher, dass die Schüler der Waldorfschule auf der Uni mit dem eigenständigen Lernen nicht überfordert sind, denn das haben sie von Anfang an gelernt. Ihre soziale Kompetenz ist sowieso ungeschlagen. Und wenn man sich mal anschaut, welche berühmten und fähigen Menschen unserer Gesellschaft ehemalige Waldorfschüler sind, braucht man eigentlich nicht weiter nachdenken.

Schade, dass die staatlichen Regelschulen sich so wenig auf alternative Lehrmethoden einlassen und dass unser Bildungssystem so eingefahren ist. Das ist wahrscheinlich so wie mit der Schulmedizin und der Homöopathie. Alles Neue macht Angst. Wobei es sich ja weder bei der Homöopathie noch bei der Waldorfpädagogik um etwas Neues handelt. Es wäre doch super, wenn sich die Schulformen aufeinander zubewegen würden, oder? Wenn die Angst überwunden würde und für unsere Kinder das beste aus allen Formen zusammengegeben würde. Wenn sich auch die Kinder mal wieder auf das Lernen und den eventuellen Spass daran konzentrieren könnten, anstatt ständig in Konfrontation mit den Lehrern zu sein, so dass man zu Hause nicht mehr permanenten Stress mit lernverweigernden Teenies und überfordert anrufenden Lehrern hätte.

Bis es soweit ist, versuche ich das Beste aus der Situation zu machen und nehme mir für das nächste Schuljahr mehr Gelassenheit vor.

Entspannte Feriengrüße von





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